Hattenhorst & von Elsner | Literaturgespräch
Thema: Aus dem Exil zurück nach Deutschland
Aus dem Exil zurück nach Deutschland
Hattenhorst und von Elsner sprechen anhand dreier Romane über den Bruch im Lebenslauf von Verfolgten der NS-Diktatur, die als deutsche Juden oder Kommunisten vor ihrer Ermordung aus Deutschland ins Ausland flüchteten. Nicht die Organisatoren des Welteroberungskrieges und des Massenmordes an den Juden, nicht die Wehrmachtssoldaten oder die Zivilbevölkerung in den Luftschutzkellern und auch nicht die Holocaust-Überlebenden stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die Exilanten. Ins Ausland verbannt, träumten sie davon, wieder an ihr altes Leben in einem neuen, besseren Deutschland anknüpfen zu können.
Ursula Krechel, Landgericht, Salzburg 2012 – Richard Kornitzer hat in der Weimarer Republik eine verheißungsvolle Karriere als Mitglied des Landgerichts in Berlin begonnen. Anfang der 1930er-Jahre scheint sein Glück perfekt, als er seine emanzipierte Frau Claire kennenlernt. Die „Machtergreifung“ der Nazis zerstört alle Zukunftspläne. Als deutscher Jude verliert Kornitzer seine Stelle, wird im Alltagsleben diskriminiert und entrechtet, seine „arische“ Frau wird aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Kurz vor Kriegsausbruch gelingt Kornitzer die Flucht nach Kuba. Nach den verheerenden Luftangriffen auf Berlin hat Claire Unterschlupf in Lindau am Bodensee gefunden, wo sie endlich nach Jahren der Trennung im März 1948 wieder mit ihrem Mann zusammenkommt. Doch die scheinbare Leichtigkeit des gemeinsamen Anfangs ist unwiederbringlich verloren und Kornitzer fühlt sich isoliert in der restaurativen Gesellschaft der frühen Bundesrepublik.
Sergej Lochthofen, Schwarzes Eis. Der Lebensroman meines Vaters, Reinbek bei Hamburg 2012 – Lorenz Lochthofens idealistischer Glaube an eine bessere sozialistische Gesellschaft und sein klarer moralischer Kompass für das, was anständig ist, werden auf eine harte Probe gestellt: Der Schlosser war mit Hilfe der KPD vor den Nazis in die Sowjetunion geflohen, hatte ein Studium absolviert und als Journalist eine neue Berufung gefunden, als er im November 1937 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet wird. Mit Tausenden von Häftlingen wird er zur Zwangsarbeit nach Workuta an den Polarkreis verfrachtet, um die dortigen Kohlevorkommen zu erschließen. Er übersteht die „ununterbrochene Kette von Grausamkeiten und Gemeinheiten“ des Lagerlebens sowie die anschließenden Jahre der Verbannung, nun aufgestiegen zum Bergbauingenieur und Familienvater. Erst 1958 erreicht er seine Rückkehr in die DDR und kämpft sich in die Führungspositionen großer Betriebe. Er will dazu gehören beim Aufbau des neuen besseren Deutschlands und doch haftet ihm auf Dauer das Stigma des Gulag-Häftlings an.
Eugen Ruge, In den Zeiten des abnehmenden Lichts, Reinbek bei Hamburg 2011- Als Wilhelm Powileit am 1. Oktober 1989 in einem Villenvorort von Berlin seinen 90. Geburtstag feiert, verweisen viele Erinnerungsstücke auf Mexiko, das Land, in dem seine Frau Charlotte und er Jahre des Exils zugebracht haben. In wechselnden Perspektiven erhellen unterschiedliche Personen und Charaktere die Familienszenerie: Wilhelm hat sich zeitlebens als strenger Parteisoldat betrachtet; als Greis mit beginnender Demenz redet er unklar von den „Tschows“, die an allem Renegatentum schuld seien. Von Charlottes Söhnen aus erster Ehe, Werner und Kurt, die Zuflucht in der Sowjetunion gesucht hatten, überlebte nur Kurt Umnitzer stalinistische Säuberungen und Zwangsarbeit. Der marxistische Historiker glaubt an die Reformierbarkeit des real existierende Sozialismus, doch sein Sohn Alexander hat sich der Familie entfremdet und fehlt auf der Geburtstagsfeier des Jubilars: Er ist bereits im Westen.