Hattenhorst & von Elsner | Literaturgespräch
Thema: Berliner Mauer – Der verstellte Blick aufs andere Leben
Zum 60. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer am 13. August 1961 haben viele Medien daran erinnert, wie es gewesen war, als die SED-Führung unter Walter Ulbricht die Schließung der Grenzen nach Westberlin angeordnet hatte: Innerhalb weniger Stunden trennten Einsatzkräfte der Armee und Volkspolizei die östlichen von den westlichen Stadtteilen und beaufsichtigten die rasche Errichtung von Sperranlagen, um Abwanderung und Flucht aus der DDR zu verhindern; ganz Westberlin wurde zu einer abgeschotteten Insel inmitten des DDR-Territoriums.
Im Literaturgespräch geht es Hattenhorst und von Elsner jedoch um eine erweiterte Sicht auf die Mauer: Auch kritische Kommunisten in der DDR hofften darauf, dass die harte Grenze endlich die Stabilisierung und Entwicklung des sozialistischen, besseren deutschen Staates voranbringen möge, andere schauten auf die Entfremdung der Deutschen voneinander, die Ignoranz der westdeutschen Öffentlichkeit, die Herausbildung westdeutscher und ostdeutscher Identität. Offenkundig war nun der krasse Verlust an elementaren Freiheitsrechten, unter dem die ostdeutschen Bürger litten sowie die abnehmende Loyalität gegenüber der parteigelenkten Obrigkeit und ihrer hohlen Propaganda.
Dazu diskutieren Hattenhorst und von Elsner beispielhaft drei zeitgenössischen Romane:
• Christa Wolf, Der geteilte Himmel, Halle/Saale 1963, München 1973. – Hat Rita Seidel die Wahl? Die große Liebe ihres Lebens, der junge Chemiker Manfred, sieht seine berufliche Zukunft in Westberlin und hofft, dass sie ihm dorthin folgt. Sie fühlt sich aber auch solidarisch mit ihren Freunden in Halle, im Betrieb und an der Hochschule, integren Menschen, die an eine bessere Zukunft im sozialistischen Deutschland glauben. Kurz vor dem Bau der Mauer wird diese Entscheidung Rita innerlich fast zerreißen.
• Peter Schneider, Der Mauerspringer, Reinbek bei Hamburg 1982, Neuauflage 1995. – Der Ich-Erzähler lebt als ungebundener Schriftsteller in Westberlin. Er opponiert in den 1960-er und 1970-er Jahren gegen die spießbürgerliche Enge der alten Bundesrepublik und gegen ihr verkürztes, auf die Mauer reduzierte Bild vom Osten. Ihn fasziniert, wie sich in Ost und West eine unterschiedliche Wahrnehmung der Wirklichkeit entwickelt hat: Seine „Mauerspinger“-Geschichten zeigen einerseits das Wiedererkennen des Gleichen und andererseits „die Fremdheit wie auf einem anderen Planeten“.
• Thomas Brussig, Am kürzeren Ende der Sonnenallee, Berlin 1999. – An das Leben im Schatten von Mauer haben sich die Menschen in der Sonnenallee gewöhnt. Die Jugendlichen aus den engen Neubauwohnungen sind die Helden des Romans; sie hängen auf dem Kinderspielplatz ab und leben in ihrer eigenen Subkultur. Das Grenzregime scheint in ewig gleicher Routine seinen Schrecken verloren zu haben, die Staatsautorität, der vertrottelte Abschnittsbevollmächtigte oder die linientreue Schuldirektorin Erdmute Löffeling, werden ausgetrickst und die Westtouristen verspottet. Und eine Liebesgeschichte gibt es auch noch.