Hattenhorst & von Elsner | Literaturgespräch
Thema: Herkunft und kulturelle Identität
Dr. Maik Hattenhorst, Dr. Tobias von Elsner im Gespräch über Bücher
Als Gast im Studio: Der aus Syrien stammende und heute in Magdeburg lebende Autor Ammar Awaniy
Thema: Herkunft und kulturelle Identität – Über Fremdheit, Ausgrenzung und Integration in der Mehrheitsgesellschaft
Der Begriff Identität spielt eine bedeutende Rolle in der aktuellen Debatte um gleiche Chancen für alle Menschen in einer gemischtkulturellen Gesellschaft. In den 1960-er Jahren hatte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung gegen die massive rechtliche und soziale Benachteiligung von Afroamerikanern demonstriert und sich dabei auf die in der Verfassung verbrieften universalen Menschenrechte berufen. Heute geraten eben diese universalen Menschenrechte unter Ideologie-Verdacht. Standen sie nicht seit der Frühen Neuzeit im Dienst der Propaganda der Großmächte Europas und der USA, die weite Teile anderer Kontinente unter ihre koloniale Herrschaft brachten und den alteingesessenen Völkern die materielle und kulturelle Lebensgrundlage raubten? Käme es nicht darauf an, der ethnischen Herkunft mehr Respekt zu verschaffen, die Identität zu achten, anstatt die Anpassung an eine „Leitkultur“ zu fordern?
Drei Bücher aus den 2010-er Jahren zeigen beispielhaft den prägenden Einfluss von Herkunft und Sprache, Sitten und Gebräuchen auf die persönliche Entwicklung als lebenslange Bezugspunkte. Wir erfahren, wie es sich anfühlt, ein anderes Aussehen zu haben als die Menschen der Nachbarschaft, oder als Zugewanderter ignoriert oder abgelehnt zu werden. Identität ist jedoch kein unveränderliches Muster. Die Erzählungen veranschaulichen bereichernde Erfahrungen beim Hineintauchen in andere Lebenswelten. Menschen ergreifen die Chance, in zwei Kulturen „beheimatet“ zu sein oder anderen Lebensweisen mit Wissen und Sympathie zu begegnen.
Hattenhorst und von Elsner diskutieren die Bücher mit Ammar Awaniy, syrischer Autor und Projekt-Referent für Literatur und Interkultur, Institut für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan- Studien e.V., der seit seiner Flucht vor dem Bürgerkrieg 2015 in Magdeburg lebt.
• Ijoma Mangold, Das deutsche Krokodil, Hamburg 2017 – Der Autor erzählt seine Geschichte: Von der alleinerziehenden deutschen Mutter behütet, wuchs er im liberalen Heidelberg in einer bildungsgesättigten Umgebung auf. Den nigerianischen Vater sollte er erst als Erwachsener kennenlernen. Er kompensierte sein „auffallendes“ Aussehen durch eine wache Anpassungsbereitschaft; erst viel später wurde er neugierig auf seine afrikanischen Wurzeln. Heute bekennt sich Ijoma Mangold zum Recht auf ein spielerisches Ausprobieren von Identität: Sein Deutschsein wandelt sich stets bei der Entdeckung neuer Wissensgebiete und Interessen.
• André Aciman, Mein Sommer mit Kalaschnikow, Zürich 2014 – Zwei Einwanderer aus dem Mittelmeerraum treffen in Cambridge, Massachusetts, im Café Algier aufeinander und schließen Freundschaft. Der Ich-Erzähler stammt aus Alexandria in Ägypten und wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft vertrieben, sein Freund Kalasch, wegen seiner spontan-aggressiven Redeweise Kalaschnikow genannt, stammt aus Tunesien. In unterschiedlichen Lebenssituationen – der eine Harvard-Student, der seine Abschlussprüfung vermasselte, der andere Taxifahrer, dessen amerikanische Ehefrau die Scheidung beantragte – droht beiden die Abschiebung. Sie hadern mit dem „American way of life“ und lernen voneinander, sich gleichwohl mit ihm anzufreunden.
• Jenny Erpenbeck, Gehen, ging, gegangen, München 2015 – Ein pensionierter deutscher Hochschullehrer wird in Berlin 2014 mit dem Schicksal von afrikanischen Flüchtlingen konfrontiert. Er kommt ihnen über sein sprachwissenschaftliches Interesse auch persönlich näher, er ergreift für sie Partei im Dschungel der deutschen Bürokratie und hadert mit einer Obrigkeit, deren menschenverachtende Vorschriften den Flüchtlingen keine Chance geben. Am Ende nehmen er und viele seiner alten Freunde die abgelehnten Asylbewerber bei sich auf; zur Geburtstagsfeier des Professors sind alle eingeladen und es kommt zu einem privaten Kennenlernen über die kulturellen Grenzen hinweg.