Hattenhorst & von Elsner | Literaturgespräch
Thema: Westdeutsche Verunsicherung
Dass der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland 1990 alle Lebensbereiche der Menschen in Ostdeutschland existentiell veränderte, dass berufliche Qualifikationen plötzlich nichts mehr galten und dass Verwaltung und öffentliches Leben nach westdeutschem Muster neu aufgestellt wurden, hat den gesellschaftlichen Hintergrund von Romanen über die so genannte Wende bestimmt. Aber auch neuere, von westdeutschen Autoren geschriebene Werke behandeln gebrochene Biografien, das Verschwinden alter Gewissheiten aus der Wirtschaftswunderzeit und den Verlust an Vertrauen in die eigene Lebensplanung.
Im Gespräch mit Dr. Maik Hattenhorst stellt Tobias von Elsner eine Auswahl solcher Bücher vor: In den Erzählungen erlebt der Leser, wie Lebenslügen ein gescheitertes Studium verbrämen oder wie der hart erkämpfte Aufstieg in die Schicht der Besserverdiener alle private Zeit für Intimität und Freundschaft auffrisst. Er nimmt Anteil an dem Schicksal von aufstiegsorientierten Mitdreißigern, die nicht mehr dem stetig wachsenden Wohlstand ihrer Eltern nachstreben können, deren mittelständisches Geschäft schon längst große Ketten niederkonkurriert haben und die selbst hadern mit dem Hausfrauendasein nach gescheiterter Ehe oder dem Karriereknick nach dem Ende von befristeten Stellen an der Universität. Der Strukturwandel betrifft die Menschen ganz konkret: Auch traditionelle Berufe im Bereich Kunst und Medien scheinen nichts mehr gelten und der Leser kann sich in die Abstiegsängste und die Ratlosigkeit derer einfühlen, die von der scheinbaren Vielfalt sinnstiftender Lebensziele überfordert sind.
Vorgestellt werden:
• Anna Katharina Hahn, Kürzere Tage, Frankfurt/Main, 2009
• Stephan Thome, Grenzgang, Frankfurt/Main, 2009
• Kristine Bilkau, Die Glücklichen, München 2015
• Dörte Hansen, Mittagsstunde, München 2018