Hattenhorst & von Elsner | Literaturgespräch
Thema: Macht und Medien
Macht und Medien – Die vierte Gewalt zwischen investigativem Journalismus und Manipulation der Öffentlichkeit Hattenhorst und von Elsner diskutieren über drei Bücher, die das Ringen von Journalisten inPresse, Hörfunk und Fernsehen um die Aufmerksamkeit des Publikums verhandeln. Hans-Werner Kettenbach, Der Feigenblattpflücker, Zürich 1992 (Diogenes TB 1994) Alexander Faber träumt von dem Knüller, mit dem er sein mittelmäßiges Dasein hinter sich lassen und zum berühmten investigativen Journalisten aufsteigen würde. Bisher hat er sich als freier Mitarbeiter des Feuilletons verschiedener Zeitungen verdingt und für einen Buchverlag Manuskripte gesichtet. Als ihm zuletzt eineunter Pseudonym geschriebene, scheinbar fiktive Enthüllungsgeschichte zur Prüfung gegeben wird, wittert Kettenbachs Romanheld die ganz große Story und will dem politischen Skandal in der Wirklichkeit auf die Spur kommen. Um die Machenschaften eines ehemaligen Kanzlerberaters zu entlarven, besucht er den Landesparteitag der konservativen Partei, recherchiert erfolgreich und gewinnt das Vertrauen der nominierten Landesvorsitzenden. Doch die Feigenblätter, die er pflücken will, verdecken andere Geheimnisse als er angenommen hat, und der Verlag teilt ihm mit, dass er das Manuskript zurückziehen muss. Gegen den Einfluss der politischen Klasse hat Faber keine Chance. Christoph Peters, Der Sandkasten, München 2022 Während Faber Anfang der 1990er-Jahre trotz aufkommender Digitalisierung noch dem westdeutschen Milieu der alten Printmedien verhaftet ist, muss sich der langjährige Moderator eines Radio-Morgenmagazins in Berlin zur Zeit der Corona-Krise im November 2020mit der Konkurrenz der Social Media auseinandersetzen. Der Leser ist eingesponnen in den Gedankenstrom Kurt Siebenstädters von dem Ende der einen Sendung bis zur Moderation am Morgen darauf. Noch ist er arriviert und mit allen Freiheiten eines Anchormans ausgestattet, aber Teile der jungen Hörerschaft reagieren empfindlich auf seinen Sarkasmus, der nun von vielen als verletzend empfunden wird, und der Chefredakteur rät ihm, nicht so viele Kritiker an den Corona-Maßnahmen der Regierung einzuladen. Siebenstädter selbst ist seiner Rolle überdrüssig, immer provozierend nach den Schwachstellen in der Argumentation seiner Interviewpartner zu fragen, er sucht nach Auswegen – eine neue Liebesaffäre, ein neuer Job als Pressesprecher? – und flieht am Ende aus der Sendung. Marietta Slomka, Nachts im Kanzleramt – Alles, was Sie schon immer über Politik wissen wollten, München 2022 Im Gegensatz zu ihrem erdichteten Kollegen Siebenstädter glaubt Marietta Slomka an die Grundwerte einer freiheitlichen Demokratie: Keine Zensur! Garantierte Pressefreiheit! Sie plädiert für die offene Gesellschaft, in der alle Bürger ihre Argumente zur Meinungsbildung ins Feld führen können. Gleichwohl erkennt sie die Probleme ungleicher Machtverhältnisse an. Sie sieht die Finanzierung von Qualitätsjournalismus mit Faktencheck und Expertise in Frage gestellt, wenn im Internetzeitalter die Menschen alles umsonst wollen, und manchen Medienleutenfehlt es an der nötigen Distanz zu Politikern. Slomka vertraut auf eine rationale Auseinandersetzung der Zuschauer mit Sachthemen, zu der die Moderatorin ihren Beitrag leistet: Ihre hartnäckigen Nachfragen bringen alle Argumente auf den Prüfstand. – Aber was ist mit den Boulevard-Medien, die Sensationsgier und Gefühle der Empörung anstacheln, um Leser und Nutzer für sich zu gewinnen?