Hattenhorst & von Elsner | Literaturgespräch
Thema: Kriegs-Traumata - Die Erinnerung an Krieg und NS-Diktatur
Literaturgespräch mit Dr. Maik Hattenhorst und Dr. Tobias von Elsner
Thema: Kriegs-Traumata – Die Erinnerung an Krieg und NS-Diktatur
Trümmerliteratur ist nicht nur eine wissenschaftliche Kategorie, sondern führt die Zerstörung von Menschlichkeit und der Menschen selbst durch den Krieg vor Augen. Sie wird unvermutet wieder aktuell, wenn wir auf die Diskussionen nach dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr schauen. Die Formierung völkischer Ideen in rechtsnationalen Organisationen fußt auf dem Versagen bürgerlicher Moral und der nachhaltigen Vergiftung deutscher Ideale des 19. Jahrhunderts durch die Nazis bis heute. Und antisemitische Einstellungen, die zu mörderischen Anschlägen geführt haben, werden trotz aller Aufklärungsbemühungen über den Holocaust immer wieder neu verbreitet.
Hattenhorst & von Elsner diskutieren mit dem Historiker Pascal Begrich drei bekannte Erzählungen, die die gesellschaftliche Wirklichkeit der unmittelbaren Nachkriegszeit ausleuchten. Wir sprechen über die drastische Bestandsaufnahme der Autoren am Ende des Zweiten Weltkriegs. Hat es Hoffnung auf ein persönliches und gesellschaftliches Umdenken und einen Neuanfang gegeben? Und was ist davon verwirklicht?
• Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür, Hamburg 1947. – Als Hörspiel entstanden, erzählt Borchert von seiner Hauptfigur Unteroffizier Beckmann, der körperlich und seelisch versehrt aus der Kriegsgefangenschaft in das schwer zerstörte Hamburg zurückgekommen ist. Dass er eine Gasmaskenbrille als Notbehelf tragen muss, ist ein Sinnbild dafür, dass ihm der Krieg seine Menschenwürde geraubt hat. Ein Selbstmordversuch scheitert, die Elbe wirft ihn zurück ans Ufer. Beckmann quält und peinigt die Verantwortung für die toten Soldaten, die er bei einem Vorauskommando befehligt und in den Tod geschickt hat. Wie kann er weiterleben? Die Frage bleibt ohne Antwort.
• Heinrich Böll, Als der Krieg zu Ende war (Erzählung), zuerst Frankfurt/M. 1962, München 1971 (dtv, 6. Aufl.). Der Ich-Erzähler fährt mit vielen anderen deutschen Kriegsgefangenen in Güterwaggons aus den Niederlanden bei Kleve über die deutsche Grenze. Er sieht seiner Entlassung in seiner Heimatstadt Köln entgegen. Angesichts der geschichtsträchtigen Landschaft hält ein Wehrmachtssoldat beharrlich daran fest, die Worte Ehre, Treue, Vaterland verlören nie ihren Wert. Er entgegnet: „Blomberg“ – der Name des preußischen Generals, der für die Gleichschaltung der Reichswehr mit dem NS-Staat gesorgt hat. – Wie in allen drei Erzählungen, kommt auch hier idealisierten Frauenfiguren eine Art Rettungsfunktion zu: Der Ich-Erzähler wird seine Frau wiederfinden, deren Stimme „nie nach Ehe geklungen hat“.
• Hermann Kant, Der Aufenthalt, Berlin 1977 (Aufbau-Verlag/Rütten Loehnig). Der Autor nutzt den Erinnerungsfundus aus seiner Zeit als Kriegsgefangener in Polen. Sein Held, ein Drucker, wird bei der Überstellung mit anderen Gefangenen in das zerstörte Warschau mit halbverbrannten Leichen einer KZ-Sammelstelle konfrontiert. Plötzlich identifiziert ihn eine Frau laut schreiend als SS-Mörder. In Einzelhaft, in Sammelzellen mit „gewöhnlichen“ Kriminellen sowie mit Wehrmachtsgenerälen und NS-Tätern, wartet er auf die Aufklärung des Irrtums. Mit skeptischem Blick erkennt er allmählich das Ausmaß der deutschen Kriegsverbrechen. Als am Ende klar ist, dass er kein SS-Scherge war, ist er ganz einverstanden mit seinem Schicksal, nun als Zwangsarbeiter bei der Trümmerräumung im gleichsam pulverisierten Warschauer Ghetto eingesetzt zu werden.